Franc Oliver Schrick • Erstleben • Gedichte
Der Hohepriester

Wem lauschen sie alle,
wem pflichten sie bei mit ihrem Nicken?
Ich quetsche mich durch die Masse,
folge gespannt ihren ausdrucklosen Blicken.

Vorne am Podest bin ich nun,
ist es etwa der Kerl dort oben?
Nun, er spricht zwar ohne Unterlass,
doch es kommt nichts von Gewicht,
er leiert seine Predigt mit stumpfen Augen
in einem längst verwelkten Gesicht.

Ich stürme hinauf, stoß ihn zur Seite:
"Leute, flieht! Sucht das Weite!
Dies ist der Hohepriester der blanken Not -
er schwärmt vom Leben, ist selbst schon tot!"

Und sie alle stehen ohne Widerstand,
keiner macht den Anschein zu gehen.
Der Prophet im wallenden Gewand
blitzt mich an mit diabolischem Blick,
doch er erhebt gegen mich nicht seine Hand.
Hilfe will niemand, mein Mitleid ist hier keiner wert.
Dann lauscht weiter der Litanei vom stillen Verderben!
Und ich wünsche euch allen Glückseligkeit
beim eintönigen, lebenslangen Sterben.

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