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Darkwater : Alben
So, so. Die frischen Schweden-Progger von Darkwater rufen also gleich mit ihrem Debütalbum die ganze Welt als Zeuge vor. Schon das
Cover des Albums, dessen Konzept von den beiden Gitarrenmännern Båth und Sigfridsson stammt, ist tricky. In einer Überlagerung scheinen zwei Bilder
in einander zu verschwimmen. Auf dem einen Bild sind Dinger zu sehen, die Pforten sein könnten. Das andere Bild gaukelt uns einen künstlich blauen Tümpel vor, in dessen
Mitte der Bandname und Albentitel schwimmen. Stellt man das Cover jedoch auf den Kopf, wird aus jenem Teich ein leicht bewölkter Himmel, der sich über eine Landschaftskontur spannt.
Das Innenleben des Booklets ist ebenfalls nett: nach und nach blickt uns jedes Bandmitglied aus einer pechschwarzen Seite heraus an, in der Mitte des Textbuchs gibt es die versammelte
Truppe einmal ganz, dazwischen stechen immer wieder weisse Textseiten hervor, die den Betrachter beinahe aufdringlich aus dem sonst sehr düsteren Gesamtbild herauszerren. Der künstlerische Eindruck
ist schon ohne einen Ton der Musik vielversprechend. Das einzige, worauf man sich verlassen darf: man darf sich auf gar nichts verlassen.
Der Songtitel des Openers 2534167 (Intro) [Track #1] macht mit diesem Spielchen gleich munter weiter. Was mag uns diese Zahlenkombination sagen wollen? Ein metrischer Hinweis, eine empfohlene Reihenfolge zum "richtigen" sortieren der Albensongs - oder bloß ein Gag?! Ich habe die Band vor dem Schreiben dieser Rezension dazu befragt, doch sie scheinen das Geheimnis streng hüten zu wollen. Naja, irgendwie verständlich, denn wo wäre der Reiz am Mysterium, das man komplett und ohne weitere Fragen entschlüsselt bekommt. Wie der Songtitel ist der Inhalt eine einzige Verwirrung. Unzählige Instrumenten- und Gesangslinien fliessen wirr in einander - einige davon scheinen zudem rückwärts zu laufen. Aber keine Panik, der Spuk dauert nur eine halbe Minute! All Eyes On Me (Track #2) geht zu einem regulären Songbild über. Mit gleich achteinhalb Minuten bekommt man eine gehörige Packung melodischen Progressive Metal auf die Ohren, der zügig und mit einer düster-tragischen Note wirklich gespannt macht. Wie heisst der Song? Alle Augen auf mich. Jawohl! Und meine Ohren bekommt die Band ohne Widerstand für eine gute Stunde (so lange dauert das Album) gratis dazu *grins*. In trockenem Staccato knüppelt Again (Track #3) los, bevor sich beruhigende Melodien und Klänge von Piano und Synthesizer einfinden. Der neunminütige Song bekommt viel Raum zur Entfaltung, spielt in wunderschönen, instrumentalen Phrasen. Der Gesang von Frontmann Båth ist meistens ruhig und rund, verliert aber nie an Druckkraft, paßt sich dem jeweiligen Pegel toll an. Immer wieder gibt es fliessend Umbrüche im Arrangement und Metrum, der Soloteil in der Mitte ist wuchtig, kraftvoll und gut eingebunden. Habit (Track #4) ist mit mehr als zwölfeinhalb Minuten der längste Song der Platte. Der Übergang aus dem Vorsong geschieht ohne merklichen Bruch. Dieser Titel legt mir einem mehrstimmigen Chor los, bevor er sich in psychedelische Synthesizerflächen stürzt. Das Hauptthema, das mit unglaublich klarem Gesang brilliert, ist sehr straight, das Konzept schwankt oft zwischen den psychedelischen Noten und unverzierter, gerader Linie. So manches Mal wechselt man unversehens auf einen Offbeat, aber alle Themen fliessen gekonnt in einander. Von einer künstlichen und erzwungenen Struktur ist nichts zu merken. Trotz der Länge des Songs kommt auf diese Weise nie Langeweile auf, es gibt immer wieder neues Material, das sich mit bekannten Klängen vermischt. Der Showdown ist bombastisch und unglaublich dicht gepackt. Auf dem Zenit des Albums gibt es eine zweiteilige Suite mit The Play - Part I (Track #5) und Part II (Track #6). Der zweieinhalbminütige Part I klingt mit friedlichen Klavierarpeggios an, der Gesang ist weich, rund und tragisch. Nach und nach kommen Streicher dazu, alles fließt in andächtiger Atmosphäre. Natürlich bricht nichts ab, wenn es zu Part II geht. Die melodische Hookline bleibt dieselbe, wenn das volle Ensemble beginnt. Der zweite Teil nimmt sich achteinhalb Minuten, hat treibende Elemente, verliert jedoch nie den Leitfaden zum ersten Teil. Und wenn Sänger Båth an einer Stelle im Song sein "just look at me" spricht, läuft mir jedesmal ein entzückter Schauer über den Rücken: war das jetzt Daniel Gildenlöw - oder tatsächlich der genauso gute Sänger von Darkwater?! Diese Suite ist ein musikalischer Leckerbissen, der an der richtigen Position kommt und zum Ende das Thema vom ruhigen Teil eins abermals erklingen läßt. Der folgende Shattered (Track #7) baut zwar seine Wurzeln darauf auf, bekommt aber schnell ein Eigenleben. Nach allen Regeln der Prog-Kunst werden Metrum und Phrasen in seinem Intro gegen einander verschoben. Der Hauptteil des Songs ist düster und unheilsschwanger, breitet seinen apokalyptischen Zauber in vielen Umbrüchen über den Zuhörer aus, so daß man nicht mitkommt zu überlegen, was da gerade passiert und die letzten zwei Minuten sind ein einziges "kick some ass". Beinahe neuneinhalb Minuten voll dichter Progressive Illusionen! Tallest Tree (Track #8) ist so etwas wie die Ballade der Platte. Die Balance zwischen ruhiger Seele und Energie ist hier fein dosiert, die Melodien gehen schnell ins Ohr, aber es quirlt immer an mindestens einem Instrument. Auch hier gibt es wundervolle Taktverschiebungen, die im Grunde aber nebenher geschehen, den Songfluß nicht untergraben, sondern wieder ein feiner Bonus zu der restlichen Meisterarbeit sind. Diese zehn Minuten sind sicher für denen Freund des Progressive toll, könnten auch ein guter Anfixer für Leute sein, die noch nichts mit dem Begriff verbinden können. Anbei: dieser Song ist beim offiziellen MySpace-Account der Band (im Moment noch!!!) anzutesten. Interesse? Siehe Links ! In My Dreams (Track #9) liefert als letzter Song sechs Minuten des Ausstiegs. Der Wechsel von Cooldown-Phrasen und progressiven Kraftakten ist vorbildlich. Besonders der zweite Teil des Liedes ist toll konstruiert, kaum denkt man: "Ah, der Endspurt!" kommt es doch wieder anders als erwartet. Von Anfang bis zum Ende - sprich diesem Song hier - bleibt es beim Spiel der Verwirrung. Und wenn die letzten Klänge plötzlich weg sind, bleibt nur eine Erkenntnis: die Reise war das Ziel. Und diese Reise tritt jeder Progressive Fan sicher ohne Reue immer wieder an! Diese Band hat ein Debüt (!) abgeliefert, auf das so manche etablierte Progband stolz sein müßte. Wenn für die Truppe überhaupt noch Steigerung nach oben möglich ist, darf man gespannt sein auf die folgenden Alben. Dies ist ein Meisterstück, vor dem ich einen ehrfürchtigen Kniefall mache! Jeder Fan der Musikrichtung sollte zumindest die Gelegenheit nutzen, die frei zugänglichen Titel zu hören. Für mich persönlich war diese Entdeckung ein Glücksfall - und wenigstens die beste (musikalische) Überraschung des letzten Jahres. Schwedens neue Prog Hoffnung. Einfach zauberhafte Musik! |
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