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Liquid Tension : Alben
Wie beim Vorgänger-Experiment (s.u.) geht es zu Beginn zügig ans Werk; Acid Rain (Track #1) legt mit einem durchgebratenen Gitarrenriff los. Schnell kommen rhythmische Wechsel, Spielräume für
das Introducing aller Instrumente, und nach knapp sechseinhalb Minuten weiß man, womit man es auf der Platte zu tun bekommt.
Biaxident (Track #2) gestaltet sich friedlicher. Ruhige Pianoklänge, die nur hintergründig von den anderen Instrumenten untermalt werden, schaukeln den Hörer langsam ins Geschehen. Erst nach abgelaufenen zwei Minuten werden die Zügel ein wenig angezogen. Zwischen den auf- und abwogenden Soloparts verschiedener Instrumente vermittelt die Leitmelodien einen dichten Zusammenhalt der einzelnen Parts. Die gemäßigt schnelle - immer jedoch rhythmisch sehr interessante - Nummer endet nach mehr als siebeneinhalb Minuten deutlich choraler und schneller als sie begann. Mit 914 (Track #3) - ob den Herren die Songtitel ausgegangen sind?! - wird es basslastig. Neben dem schmierigen Bass spielt das Keyboard die zweite Geige, Zeit, einmal ein paar Soundbänke durchzuprobieren. Mit vier Minuten bleibt dieser Song der kürzeste auf der Scheibe. Der Songtitel Another Dimension (Track #4) verspricht es schon; irgendwie wird es anders. Beinahe eine Minute gönnt man sich für einen düsteren Synthisound, der mit ein paar Tappings und Hammerings auf der Gitarre unterlegt wird. Erst dann zieht die andere Dimension an; es wirst wüster, schneller, vertrackter. Der Mittelpunkt mutet wirklich wie eine andere Dimension an; auf einen bass- und percussionbetonten Teil folgen Akkordeonklänge und Flamencogitarren, bis es zum verzerrten E-Gitarren-Ende mit wilden Drums übergeht. So endet also die erste Hälfte des zweiten Experiments mit einem zehnminütigen Dimensionswechsel... Scheinbar schätzt man den Zuhörer nun als geübt und warm ein: mit einem Babyschrei beginnt When The Water Breaks (Track #5), mit nahezu siebzehn Minuten der längste Trip des Albums. Natürlich muß auf diese Dinstanz jeder Instrumentalist seinen Raum bekommen. Insgesamt ist der Song abwechslungsreich flott; auf einen ruhigeren Piano-Part kommt unvermittelt ein zügiges Gitarrensolo (wahlweise auch vom Keyboarder als E-Gitarrensimulation gespielt), dann wieder eine Rhythmusfinesse von Schlagzeug und Bass. Als krönenden Abschluß gibt es wieder einmal das Saloon-Piano, das schon beim ersten Experiment (s.u.) dabei war. Hier spielt es ein völlig aus dem Songflow gerissenes Intermezzo, das einen nur wundern läßt. Auch Chewbacca (Track #6) ist mit seinen dreizehneinhalb Minuten kein Quicky. Den Namens-Paten kennen wir alle?! Das zottelige Vieh aus Star Wars! Ähnlich sperrig gibt sich dieser Track hier. Nach ein paar synthetischen Regentropfenklängen kommt der Song erst nach einer guten Minute mit markigen Drums in die Gänge. Danach geht es mit urigen Distortionsounds der Gitarre und vor allem übelsten Taktspielereien am Schlagzeug weiter. Die Mitte des Soungs bildet eine detailfreudige Percussionstrecke, die langsam zu einem vierminütigen, spacig klingenden Outro wird, das vor allem vom vordergründigen Bass dominiert wird. Auch wenn an keiner Stelle die Urlaute des StarWars-Helden zu hören sind, ein treffender Songtitel. In den Endspurt geht es mit Liquid Dreams (Track #7), auch er gute zehn Minuten lang. Wieder geht es sphärisch los; bei dem Titel hätte man kaum anderes erwartet. Nach zwei Minuten des Einstimmens wird es mit einer schönen Basslinie ein wenig temporeicher, Piano und Gitarre geben sich ein harmonisches Stelldichein, während der geflangete Bass sein markantes Leitthema mit schönen Finessen durchzieht. Bei wechselnder Instrumentalisierung (Percussions, Keyboard, Keyboard als E-Gitarren-Simulation etc.) bleibt das Leitthema, das man nun gut im Ohr hat, erhalten, so daß man sich ohne weitere Anstrengung auf die kleinen aber feinen Details konzentrieren kann. Den Ausklang bringt Hourglass (Track #8). Scheinbar will man den Abschied nicht unnötig in die Länge ziehen, andererseits auch nichts Wichtiges vergessen: mit seinen viereinhalb Minuten ein gutes Songmaß. Wäre man böswillig, könnte man bei der Nummer schon von schmalzig sprechen. Es erklingen ein Grand Piano und eine klassische Gitarre, die in wundervoller Zweisamkeit schöne Melodiearbeit liefern. Trotz der knappen Instrumentalisierung und dem durchgehenden ohrgängigen Leitthema fehlt es nicht an kleinen Rhythmusfinessen und Tonartspielereien, wie es sich im Progressive-Bereich gehört. Ich habe selten schönere Instrumentalstücke als dieses gehört, und mit seinen viereinhalb Minuten ist es mir sogar noch deutlich zu kurz... Auch das zweite Experiment des Progquartetts ist mehr als geglückt.
Der neunminütige Opener Paradigm Shift knüppelt unvermittelt los; die Doublebassdrum wird getreten, Keyboard, Gitarre und Bass ziehen gleich mit. Ein direkter Einstieg ins Experiment also.
Nach zwei, drei Minuten kühlt der Song langsam runter, ab der Hälfte wird es ein wenig sphärischer, Synthesizerklänge mischen sich mit Petruccis Solospiel. Das Ende ist geprägt von rhythmischen Finessen,
bei denen jedes Instrument seinen Part bekommt, bevor es zum dicht gepackten Showdown geht.
Bei Osmosis (Track #2) geht es beschaulicher zu. Der Song besticht durch fernöstlich klingende Percussions, die eine markante Basslinie unterstützen. Erst ab der Hälft des Dreieinhalbminüters mischen sich langgezogene Gitarrenlicks dazu. Kindred Spirits (Track #3) startet mit einer dreckigen Gitarren-Hookline, die zunächst von Bass, folgend auch von Keyboard und Drums aufgenommen und umspielt wird. Nach zwei Minuten driften die Parts auseinander, teilen sich auf, fahren wieder leicht ineinander, bis der Song bei seiner Hälfte (es ist ein Sechseinhalbminüter) schon beinahe theatralisch wird. Nach einem schönen Keyboardsolo gleitet der Song in seinem letzten Drittel zu einem epochalen und wieder flotteren Ende. Mit The Stretch (Track #4) gibt es einen kurzen (zwei Minuten) und bündigen Einwurf, bei dem das Keyboard im Vordergrund steht, während die Rhythmussektion einen schmierigen Slapbass und Drumlines unterlegt. Es folgt eines meiner persönlichen Highlights: Freedom Of Spreech (Track #5), das mit über neun Minuten auch das längste Werk der Platte ist. Die ersten zwei, drei Minuten präsentieren ein getragenes, beinahe melancholisches Intro, das gitarrenlastig ist und mit schöner Melodiearbeit glänzt. Zur Hälfte bricht der Song langsam in die rhythmische und schnellere Ecke um. Nach einem Keyboardsolo mischt sich die Gitarre unter, alle nehmen Fahrt auf, bevor es zum wieder epochalen und melodiösen Outro geht. Ungewohnt groovy wird Chris And Kevin's Excellent Adventure (Track #6) losgetrommelt, ein schmieriger Slapbass steigt schnell mit ein. Die Basslinie wird von Gepfeife und gesprochenen Texteinwürfen untermalt. Dieser Zweiminüter ist wieder etwas, das man so auch noch nicht auf anderen Musikwerken gehört hat. In State Of Grace (Track #7) bleibt es ruhig und sehr getragen. Bei einer gewöhnlichen Veröffentlichung würde man wohl von einer Ballade sprechen. Dieser Track ist geprägt von Ruhe, melodischem Zusammenspiel, bei dem die Gitarre im Vordergrund steht, und kleinen spielerischen Details; eine perfekte Verschnaufpause. Denn bei Universal Mind (Track #8) geht es flott weiter. Schön ist der fliessende Übergang zwischen diesem Song und dem Vorgänger: obwohl man direkt bei den ersten Takten das schnellere Tempo wahrnimmt, übernimmt das Intro die noch tragende Stimmung des letzten Songs. Erst nach zwei Minuten läuten Bridgeparts in den wüsten Mittelteil, bei dem es reihum von jedem Instrument was auf die Ohren gibt. Ab der Hälfte kühlt die Stimmung gezielt herunter, bevor es einen selbständigen B-Part mit eigener Rhythmik und Melodie gibt. Gen Ende des Songs treffen Anfang und Mittelteil ineinander, was ein epochal-rhythmisches Aufschaukeln bringt. Die letzte Minuten wollten die Musiker scheinbar beweisen, daß sie immer für eine Überraschung gut sind, denn plötzlich vernimmt man ein "verstimmtes" Saloon-Piano (der Sound ist sonst nur in uralten Italo-Westernfilmen zu bekommen!), das zum überraschenden Ausklang des Songs noch eine Zirkus-Clownsmelodie darbietet. Mit einem breiten Grinsen fällt der Vorhang. Ja, sappalott, was kommt jetzt? Three Minute Warning (Track #9 - Track #13), also gleich fünf mal?! Nein, es handelt sich um kein Versehen von Covereditor oder Label. Es handelt sich um einen insgesamt dreißigminütigen Jam, in dem so ziemlich alles Erdenkliche vorkommt. Vom ruhigen Duell zwischen zwei Instrumenten über Sphärenteil bis hin zu waren Instrumental-Massakern. Ein gelungenes Ende, das ohne Brüche das erste Experiment abschließt. Ach ja; drei Minuten ist von den Tracks keiner lang! Was hat uns das Projekt Liquid Tension von seinem Namen her angekündigt? Wörtlich: "Flüssige Stimmung", also unterschiedliche Stimmungsverläufe mit fliessenden Übergängen. Diese Beschreibung paßt - meiner Meinung nach - wie die Faust aufs Auge. Dieses Werk ist für Freunde des Progressive wie für Liebhaber einzelner Instrumente bestimmt ein Highlight außerhalb des normalen Business. Wegen des fehlenden Gesangs scheint zunächst ein wichtiger Identifikationsrahmen mit den Titeln zu fehlen, dürfte für viele Musikhörende also aussen vor bleiben. Interessierte sollten sich des Epos mit viel Zeit und unvoreingenommener Offenheit einmal zum Testhören gönnen, um entscheiden zu können, ob's gefällt. Experiment geglückt, die Musikschüler mögen sich wieder setzen! :-) |
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